Rechtslage bei Kündigung des Frachtvertrages durch den Auftraggeber wegen vom Frachtführer zu vertretender Verzögerungen durch den Frachtführer bei der Verzollung

OLG Hamm, Urteil vom 26.02.2015 – 18 U 82/14

1. Erfolgt die Kündigung wegen einer Zeitverzögerung, die deshalb zu erwarten ist, weil der Frachtführer den Anforderungen der Verzollung (hier “Blockverzollung”) nicht gerecht werden kann, steht dies einem Anspruch aus § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB (“Fautfracht”) entgegen.

2. Ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis kann wegen Drohung angefochten werden.

3. Die Drohung mit der Geltendmachung eines Pfandrechts führt dann zur Anfechtbarkeit des daraufhin erklärten deklaratorischen Schuldanerkenntnisses bezüglich des Anspruchs auf Fautfracht, wenn sich der Rechtsstandpunkt des Drohenden als nicht mehr objektiv vertretbar erweist.

4. Ein Anspruch des Frachtführers gem. § 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2, 2. Halbsatz HGB kann hilfsweise für den Fall geltend gemacht werden, dass der Anspruch auf Fautfracht (§ 415 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB) nicht besteht.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 6.3.2014 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund teilweise abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.878,56 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.5.2014 zu zahlen;

die weitergehende Klage bleibt abgewiesen; die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Klägerin; die Kosten der Berufung tragen die Klägerin zu 73% und die Beklagte zu 27 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe
I.

1
Die Parteien streiten um Ansprüche auf Fautfracht.

2
Die Klägerin ist eine auf Schwerlasttransporte spezialisierte, international tätige Spedition. Auf eine Anfrage der Beklagten unterbreitete die Klägerin am 28.6.2010 ein Angebot zur Durchführung eines Transports von zwei Maschinen mit einem Bruttogewicht von jeweils 71,70 t von Kiel Hafen über St. Petersburg Hafen per Schiff und von dort per Lkw nach Dorogobuzh, einem Ort in der Region Smolensk, für eine Fracht von 31.760 EUR. Die von den russischen Behörden genehmigte Strecke für den Landtransport betrug 1.026,79 km.

3
Mit Fax vom 26.7.2010 erteilte die Beklagte der Klägerin einen Transportauftrag, den die Klägerin mit Auftragsbestätigung Email vom 27.7.2010 bestätigte. Darin heißt es u.a.:

4
“Verschiffungsdatum:

voraussichtlich 7.8.2010

Übernahme ab St. Petersburg:

voraussichtlich KW 32, nach Erhalt der Genehmigung

Entladetag:

voraussichtlich KW 33

Frachtpreis:

EURO 31.760,00 offen via Fähre, inkl. Umladung, inkl. Zollkonvoi bis zu einem WW EURO 350.000,00 pro Lkw Ladung

Standzeiten:

24 Std. für die Verzollung und 24 Std. für die Entladung sind frei, jeweils ab der 25. Std. berechnen wir je angefangenen Kalendertag pro eingesetztes Fahrzeug EURO 1200,00.”

5
Die Beklagte nahm nach telefonischer Rücksprache mit der Klägerin eine handschriftliche Änderung dahingehend vor, dass als Zahlungsziel 45 statt 30 Tage nach Erhalt der Rechnung gelten sollte und faxte die so geänderte Auftragsbestätigung zurück.

6
Am darauf folgenden Tag teilte die Klägerin der Beklagten per Email mit, dass in der 32. Kalenderwoche nur ein Fahrzeug zur Verfügung stehe. Es wurde um Bestätigung gebeten, ob die zweite Maschine ca. zwei Wochen nach der ersten Maschine transportiert werden könne.

7
Die Klägerin nahm mit dem Empfänger in Russland Kontakt auf, nachdem die Beklagte ihr mit Email vom 4.8.2010 die Zollpapiere übersandt hatte. Dieser teilte ihr mit, dass die gesamte Ware gleichzeitig angeliefert werden müsse, da eine gemeinsame Verzollung beantragt worden sei. Hierüber informierte die Klägerin die Beklagte in einer Email vom 6.8.2010, in der sie den Einsatz eines weiteren Lkw in der 33. Kalenderwochen für einen Mehrbetrag von ca. 7.000 EUR anbot. Ferner wies sie darauf hin, der Empfänger habe ihr mitgeteilt, dass die Ware bis spätestens zum 1.8.2010 hätte angeliefert werden müssen und für die Verspätung eine Vertragsstrafe vorgesehen sei.

8
In der Folge diskutierten die Parteien via Email darüber, ob die Klägerin den gleichzeitigen Einsatz von zwei Lkw schulde oder auch der Einsatz eines Fahrzeugs im “Rundlauf” den vertraglichen Vereinbarungen entspreche. Anders als ursprünglich geplant, wurden die Maschinen schließlich nicht am 5./6.8.2010, sondern erst am 10.8.2010 in Kiel, wo sie von der Klägerin übernommen werden sollten, angeliefert, so dass die ursprünglich für den 7.8.2010 avisierte Verschiffung nunmehr am 14.8.2010 stattfinden sollte. Mit Email vom 9.8.2010 bat die Beklagte, “die Teile wie geplant am 14.08.2010 zu verschiffen”, die Entladung müsse “dann im Rundlauf” geschehen. Zugleich bat die Beklagte die der russischen Sprache mächtige Mitarbeiterin der Klägerin, bei dem russischen Empfänger auf eine Einzelverzollung hinzuwirken.

9
Nachdem die Beklagte eine andere Transportmöglichkeit gefunden hatte, schrieb sie mit Email vom 11.8.2010 an die Klägerin:

10
“So leid es mir tut, muss sich Ihnen hiermit den Auftrag stornieren.

11
Die Ware muss so schnell wie möglich zum Empfänger und kann nicht noch über fünf Wochen in Kiel liegen bleiben.

12
Bitte geben Sie der Reederei Bescheid, dass sie die bis jetzt angefallenen Kosten (die Umladung gestern) an uns abrechnen sollen.”

13
Die Klägerin übersandte der Beklagten am 12.8.2010 eine Email, in deren Anhang sich eine Rechnung über die Fautfracht auf der Basis von 1/3 des vereinbarten Frachtpreises befand, mit folgendem Inhalt:

14
“wir nehmen Ihr Storno zur Kenntnis und möchten Sie informieren, dass wir von der Regelung gemäß HGB § 415 / ADSp 16.3 Gebrauch machen werden.

15
[…]

16
In Erwartung Ihrer kurzen Rückbestätigung – zwecks Freigabe unserer Verbuchung und der Waren Kiel Hafen – verbleiben wir mit freundlichen Grüßen.”

17
Mit Email vom 20.8.2010 bestätigte die Beklagte die Kostenübernahme “um die Verschiffung der Sendung zu ermöglichen.” Die Klägerin gab daraufhin die Sendung frei. Mit Anwaltsschreiben vom 26.8.2010 ließ die Beklagte die Kostenübernahmeerklärung widerrufen, hilfsweise anfechten. Die Klägerin wies dies mit Anwaltsschreiben vom 31.8.2010 zurück.

18
Der Klägerin wurden von der Firma E für den Umschlag in Kiel 2.878,56 EUR in Rechnung gestellt. Ob das von ihr mit dem Landtransport in Russland beauftrage Transportunternehmern wegen der Stornierung weitere 6.900 EUR von der Klägerin verlangt, ist zwischen den Parteien streitig.

19
Die Klägerin hat gemeint, sie habe sich nicht verpflichtet, die Maschinen gleichzeitig mit zwei Lkw in Russland zu transportieren. Sie habe den Transport mit einem Lkw durchführen dürfen, da keine Fixtermine vereinbart worden seien. Sie habe auch keine Einzelverzollung geschuldet. Jedenfalls aufgrund ihrer Kostenübernahmeerklärung, die ein Schuldanerkenntnis darstelle, sei die Beklagte zur Zahlung verpflichtet.

20
Sie hat beantragt,

21
die Beklagte zu verurteilen, an sie 10.586,66 EUR nebst Zinsen i.H.v. acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.9.2010 und vorgerichtliche Kosten i.H.v. 414,50 EUR zu zahlen.

22
Die Beklagte hat beantragt,

23
die Klage abzuweisen.

24
Sie hat gemeint, die Klägerin habe die Stornierung des Vertrages zu vertreten. Insofern hat sie behauptet, beide Parteien seien davon ausgegangen, dass die aus mehreren Stücken bestehende Sendung gleichzeitig im Fährhafen St. Petersburg hätte entladen und weitertransportiert werden können. Nur so habe die zeitliche Vorgabe für den Transport eingehalten werden können.

25
Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen und dies wie folgt begründet:

26
Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Fautfracht nach § 415 Abs. 2 Nr. 2 HGB denn die Beklagte habe dargetan, dass ihre Kündigung des Frachtvertrags auf Gründen aus dem Risikobereich der Klägerin beruhe. Die Parteien hätten einen Transportauftrag geschlossen, der den zeitgleichen Einsatz zweier Transportfahrzeuge vorgesehen habe. Dies lasse sich aus dem Angebot der Klägerin aus der allein maßgeblichen Sicht des Adressaten angesichts der kurzen Transportdauer von nicht mehr als zwei Wochen entnehmen. Es hätte eines Hinweises bedurft, wenn die Klägerin bei ihrem Angebot nur einen Einsatz im Rundlauf gemeint habe. Dies sei ausweislich der Beweisaufnahme nicht geschehen. Grund für die Stornierung des Auftrages durch die Beklagte sei gewesen, dass die Klägerin die vertraglich vereinbarte Ausführung abgelehnt und Mehrkosten für ein weiteres Fahrzeug oder eine Einlagerung gefordert habe. Die Frage der Verzollung und die verspätete Anlieferung der Ware hätten dafür keine Bedeutung. Eine Blockverzollung wäre bei dem Einsatz zweier Fahrzeuge möglich gewesen. Die verspätete Anlieferung der Ware im Hafen Kiel habe nicht zu einer Stornierung der Versendung geführt.

27
Die Klageforderung könne auch nicht auf die Kostenübernahmeerklärung der Beklagten vom 20.8.2010 gestützt werden. Aus dem Zusatz “um die Verschiffung der Sendung zu ermöglichen” sei zu entnehmen, dass der Anspruch der Klägerin auf Fautfracht nicht anerkannt werden sollte. Insofern käme es auf die Frage, ob die Beklagte die Kostenübernahmeerklärung wirksam habe widerrufen bzw. anfechten oder kondizieren könne, nicht an.

28
Die Klägerin verfolgt ihren erstinstanzlichen Zahlungsantrag mit der Berufung weiter. Sie begründet diese im Wesentlichen wie folgt:

29
Entgegen der Auffassung des Landgerichts stelle die Email der Beklagten vom 20.8.2010 ein Anerkenntnis aus der maßgeblichen Sicht der Klägerin dar. Nur vor diesem Hintergrund habe die Klägerin überhaupt ihr Frachtführerpfandrecht aufgegeben. Die Formulierung “um die Verschiffung der Sendung zu ermöglichen” stelle allenfalls einen unbeachtlichen geheimen Vorbehalt im Sinne von § 116 S. 1 BGB dar. Das Anerkenntnis könne die Beklagte nicht kondizieren, da sie es, falls ihre Rechtsauffassung zutreffen sollte, in Kenntnis der Nichtschuld abgegeben habe. Aus diesem Grunde sei auch eine Anfechtung der Kostenübernahmeerklärung nicht möglich. Alternativ zu dem Anspruch auf Fautfracht könne sie ihre Aufwendungen nach § 415 Abs. 2 Nr. 1 HGB ersetzt verlangen.

30
Das Landgericht habe den Vertrag zwischen den Parteien falsch ausgelegt, sofern es davon ausgegangen sei, dass ein Transport mit zwei LKWs geschuldet gewesen sei. Der Vertrag selbst enthalte keine eindeutige Regelung zu der Frage einer gleichzeitigen Beförderung mittels zweier Lkw bzw. eines “Rundlaufs” mit einem Lkw. Auch auf der Basis der Aussage der Zeugin W müsse davon ausgegangen werden, dass kein gleichzeitiger Transport des Gutes vereinbart worden sei. Der Transport mit einem Lkw sei auch in einem Zeitfenster von zwei Wochen möglich gewesen. Dies sei von der Beklagten nicht bestritten worden.

31
Sie beantragt,

32
das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 6.3.2014 abzuändern und die Beklagten zu verurteilen, an sie 10.586,66 EUR nebst Zinsen i.H.v. acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.9.2010 sowie vorgerichtliche Kosten i.H.v. 414,50 EUR zu zahlen

33
Die Beklagte beantragt,

34
die Berufung zurückzuweisen.

35
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und bekräftigt ihre Auffassung, wonach eine Beförderung “im Rundlauf” nicht vertragsgemäß gewesen sei, dadurch erst die Probleme im Zusammenhang mit der Blockverzollung entstanden seien und die Klägerin keinen Anlass für die Annahme gehabt habe, ihr stehe Fautfracht zu.

36
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachvortrags wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

II.

37
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.

38
Der Klägerin steht ein Zahlungsanspruch in Höhe von 2.878,56 EUR nebst Rechtshängigkeitszinsen zu.

39
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Fautfracht gem. § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 HGB.

40
Nach dieser Regelung kann der Frachtführer im Falle der Kündigung des Frachtvertrags durch den Absender ein Drittel der vereinbarten Fracht verlangen.

41
a) Ein Frachtvertrag liegt vor. Die Parteien haben einen Transport der Maschinen mit verschiedenartigen Beförderungsmitteln (Schiff und Lkw) vereinbart. Ob es sich hierbei um einen multimodalen Frachtvertrag (§ 452 HGB) oder um einen Speditionsvertrag (§§ 453 ff. HGB) handelt, kann im Ergebnis offen bleiben. Denn es ist eine Spedition zu festen Kosten (§ 459 HGB) vereinbart worden, so dass die Klägerin die Rechte und Pflichten eines Frachtführers hat. § 452 HGB findet auch auf den Fixkostenspediteur Anwendung (BGH NJW-RR 2008, S. 840; Koller, Transportrecht, 8. Aufl., § 459 HGB, Rn. 23). Mangels vorrangiger Bestimmungen greift die Verweisung des § 452 HGB auf die §§ 407 ff. HGB und mithin auch auf § 415 HGB ein.

42
b) Die Beklagte hat den Transportvertrag mit ihrer E-Mail vom 11.8.2010 gekündigt. Dass sie dabei den Begriff “stornieren” verwendete, ist unschädlich. Ihrer Erklärung war eindeutig zu entnehmen, dass sie sich vom Vertrag lösen wollte.

43
Die Beklagte ist auch Absenderin im Sinne von § 415 Abs. 1 HGB, da sich die Klägerin ihr gegenüber unmittelbar zur Beförderung, die Beklagte indes ihrerseits zur Zahlung des vereinbarten Frachtlohns verpflichtet hatte.

44
c) Der Anspruch auf die sog. Fautfracht ist jedoch nach § 415 Abs. 2 S. 2 HGB entfallen.

45
Nach dieser Vorschrift kann der Frachtführer trotz einer Kündigung durch den Absender keine Fautfracht verlangen, wenn der Kündigungsgrund (auch) in seinem Risikobereich liegt. Letzteres ist regelmäßig dann der Fall, wenn die Kündigung auf Mängeln im Organisationsbereich des Frachtführers oder auf Störungsursachen beruht, die der Frachtführer besser als der Absender beherrschen oder zumindest vorhersehen konnte (Koller, a.a.O., § 415 Rn. 16a).

46
aa) Diese tatbestandlichen Voraussetzungen des § 415 Abs. 2 S. 2 HGB liegen vor. Zunächst ist der Frachtvertrag dahin zu verstehen, dass ein paralleler Transport der Maschinen erfolgen sollte. Das legt bereits der in der Auftragsbestätigung der Klägerin verwendete Begriff “Zollkonvoi” nahe, der in diesem Zusammenhang insinuiert, dass sich mehrere Transportfahrzeuge gemeinsam auf dem Weg befinden. Vor allem aber die Angabe eines einheitlichen Zeitraums für das Eintreffen sämtlicher Güter am Zielort spricht aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Empfängers für den gleichzeitigen Transport der Güter. Sofern die Klägerin ihre Verpflichtungen im Wege des “Rundlaufs” nur eines Lkw hätte erfüllen wollen, hätte es – worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat – gesonderter Absprachen bedurft, die jedenfalls zunächst nicht getroffen worden sind.

47
Hinzu kommt, dass die Kündigung der Beklagten letztlich auf der Notwendigkeit einer Blockverzollung beruhte, die sich bei einer Einzelanlieferung der Güter im “Umlauf” nicht realisieren ließ. Auch diese Problematik fällt in den Risikobereich der Klägerin, denn sie hatte die Verzollung der Güter übernommen. Diese Verpflichtung folgt auch aus der Regelung in Ziff. 5.1 ADSp, auf deren Geltung die Klägerin stets hinwies, und die vorsieht, dass der Auftrag zur Versendung nach einem Bestimmungsort im Ausland den Auftrag zur zollamtlichen Abfertigung einschließt, wenn ohne sie die Beförderung zum Bestimmungsort nicht ausführbar ist, was hier der Fall war. Die vom Empfänger der Güter beantragte Art der Verzollung war daher ein Umstand, mit dem sich die Klägerin schon aufgrund ihrer Frachtführerpflichten befassen musste und den sie besser als die Beklagte beherrschen und vorhersehen konnte. Daraus ergab sich für die Klägerin die Obliegenheit, sich rechtzeitig um die Frage zu kümmern, wie die Verzollung in Russland zu bewerkstelligen sei. Die Klägerin kann sich daher nicht darauf berufen, die Kündigung des Frachtvertrags falle nicht in ihre Risikosphäre, weil sie die Information, wonach seitens des Empfängers “Blockverzollung beantragt” worden sei, erst im Nachhinein erhalten habe. Vielmehr musste die Klägerin den Verzollungsmodus vorab klären, und zwar jedenfalls dann, wenn sie, wie sie in der Berufung vorträgt, von vornherein einen Transport “im Rundlauf” vorgesehen hatte. Die Risikosphäre der Beklagten war hingegen nicht betroffen: Abgesehen davon, dass die Beklagte als Absenderin lediglich gehalten war, der Klägerin die von ihr verlangten Informationen über die Verzollung zukommen zu lassen (z.B. Koller, a.a.O., § 413 Rn. 9), hatte sie aufgrund des Inhalts des Frachtvertrags, der – wie dargelegt – auf den gleichzeitigen Transport der Güter hinwies, keinerlei Veranlassung, an eine etwaige Blockverzollung, selbst wenn ihr eine solche bekannt gewesen wäre, als mögliche “Störungsursache” bezüglich des Transportablaufs zu denken und der Klägerin entsprechende Hinweise zu geben.

48
bb) Die Klägerin kann ihren Anspruch auf Fautfracht gem. § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 HGB auch nicht auf die Erklärung der Beklagten in der E-Mail vom 20.8.2010 stützen.

49
Allerdings handelt es sich bei dieser Erklärung um ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis, das es der Beklagten verwehrt, sich auf die bei der Abgabe der Erklärung bekannten Einwände gegen den Anspruch auf Fautfracht zu berufen.

50
Ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis ist ein Schuldbestätigungsvertrag, der ein bereits bestehendes bzw. ein auch nur möglicherweise bestehendes Schuldverhältnis (z.B. Münchener Kommentar BGB/Habersack, 6. Aufl., § 781 Rn. 3) lediglich bestätigt und von dem Willen getragen ist, dieses Schuldverhältnis insgesamt oder in einzelnen Beziehungen dem Streit oder der Ungewissheit zu entziehen. Wegen dieser weitgehenden Wirkungen muss in der Regel ein besonderer Anlass für die Bestätigung existieren (Palandt/Sprau, BGB, 74. Aufl., § 781 Rn. 3f.).

51
Diese Voraussetzungen liegen hier vor: Die Beklagte hat mit ihrer E-Mail vom 20.8.2010 ausdrücklich die Übernahme der in der E-Mail der Klägerin vom 12.8.2010 erwähnten Kosten bestätigt, wozu gem. der Rechnung der Klägerin vom selben Tag insbesondere die sog. Fautfracht gehörte. Im Vorfeld hatten die Parteien darüber gestritten, ob die Klägerin den gleichzeitigen Einsatz von zwei Transportfahrzeugen schuldete oder ob der Einsatz eines Lkw “im Rundlauf” den Vereinbarungen entspreche bzw. wer die “Schuld” an der sich abzeichnenden Verzögerung der Anlieferung beim Empfänger in Russland wegen der “Blockverzollung” trage. Wenn die Beklagte vor diesem Hintergrund ohne Vorbehalt die Begleichung der in der Rechnung ausgewiesenen Fautfracht ankündigte, brachte sie aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Empfängers zum Ausdruck, dass sie auf ihre bisher erhobenen Einwendungen verzichte. Der Umstand, dass sich die Beklagte nur deshalb solchermaßen erklärte, um die Freigabe der Güter zu erreichen, steht dem nicht entgegen, sondern spricht sogar für einen entsprechenden Rechtsbindungswillen, da sie annehmen musste, die Klägerin werde die Freigabe nur bei einer ernst gemeinten und rechtsgeschäftlich wirksamen Kostenübernahmeerklärung abgeben.

52
cc) Die Beklagte konnte dieses Anerkenntnis auch nicht kondizieren. Eine Erklärung, mit der das Schuldverhältnis ohne Rücksicht auf möglicherweise bestehende Einwendungen festgelegt werden sollte oder in dem der Schuldner auf bestimmte Einreden verzichtet, kann nicht nach § 812 Abs. 2 BGB rückgängig gemacht werden, falls sich später das “bestätigte” Schuldverhältnis als ursprünglich nicht bestehend oder sich eine “ausgeschlossene” Einwendung als begründet herausstellt (BGH, WM 1966, S. 1280; NJW 2000, S. 2501; Staudinger/Marburger, Neubearb. 2009, § 781 Rn. 17).

53
dd) Das Anerkenntnis ist aber wirksam wegen Drohung (§§ 142, 123 BGB) angefochten worden.

54
(1) Die Klägerin hat mit ihrer Äußerung, sie erwarte Rückbestätigung “zwecks Freigabe unserer Fährbuchung der Ware im Kiel Hafen”, einen erheblichen wirtschaftlichen Nachteil in Aussicht gestellt und sie in eine Zwangslage gebracht. Denn um sich nicht etwaiger weiterer Schadensersatzansprüche ihrer Auftraggeber auszusetzen, war die Beklagte auf eine schnelle Freigabe der Güter durch die Klägerin angewiesen. Dieser Umstand war der Klägerin aus der vorangegangenen Korrespondenz auch bekannt.

55
(2) Zwar ist weder das von der Klägerin verfolgte Ziel (die Abgabe der “Rückbestätigung”) noch der Zweck (die Geltendmachung eines – vermeintlichen – Zurückbehaltungsrechts bzw. Pfandrechts) als solcher rechtswidrig. Namentlich für die Rechtmäßigkeit des Zwecks kommt es nicht darauf an, ob der Drohende einen Anspruch auf die erstrebte Handlung des Bedrohten hat, vielmehr genügt bereits der gute Glaube an den bzw. ein berechtigtes Interesse an dem erstrebten Erfolg (z.B. BGH, Urt. vom 19.4.2005, Az. X ZR 15/04, NJW 2005, S. 2766). Zumindest guter Glaube der Klägerin an die Fautfracht ist anzunehmen.

56
(3) Doch ergibt sich die Rechtswidrigkeit hier aus der Zweck-Mittel-Relation.

57
Zwar führt die Verfolgung eines nur vermeintlichen Rechts mit Mitteln, die die Rechtsordnung zur Durchsetzung eines solchen Anspruchs vorsieht, nicht schon deshalb zur Rechtswidrigkeit, weil dieses Recht letztlich nicht besteht. Die Rechtswidrigkeit entfällt vielmehr bereits dann, wenn sich der Drohende bei zweifelhafter Rechtslage auf einen objektiv vertretbaren Rechtsstandpunkt stellt (BGH, a.a.O.).

58
An letzterem fehlte es hier jedoch: Die Auffassung der Klägerin, ihr stehe ein Anspruch auf Fautfracht gem. § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 HGB zu, ist angesichts der klar in ihren Risikobereich fallenden Kündigungsgründe, nämlich jedenfalls der unzulänglichen Berücksichtigung der Verzollungsmodalitäten und der sich daraus ergebenden Unfähigkeit bzw. Unwilligkeit, die der Beklagten zugesagte Beförderung ohne wesentliche Zwischenlagerung auszuführen, nicht mehr als objektiv vertretbar anzusehen.

59
Die Durchsetzung eines solchen Anspruchs mittels der Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts stellt sich vor diesem Hintergrund als ein mit der Rechtsordnung nicht vereinbares Verhalten dar, das zur Anfechtbarkeit führt.

60
(4) Die Beklagte hat ihre Erklärung rechtzeitig angefochten.

61
2. Die Klägerin kann die Beklagte jedoch aus § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 HGB auf Zahlung der für die von ihr veranlasste Umladung der Güter im Hafen Kiel auf sog. Mafi-Trailer entstandenen Kosten in Höhe von 2.878,56 EUR (Rechnung E vom 31.8.2010, Bl. 97 d.A.) in Anspruch nehmen.

62
a) Zu Recht hat das Landgericht darauf abgestellt, dass – erstinstanzlich – Ansprüche gem. § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 HGB durch die Klägerin nicht geltend gemacht worden sind.

63
Im Rahmen ihrer Berufungsbegründung hat die Klägerin indes klargestellt, dass sie ihren Klageanspruch jedenfalls hilfsweise auch auf Ansprüche aus § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 HGB stütze. Anders sind die Ausführungen in der Berufungsbegründung nicht zu verstehen. Es handelt sich dabei um eine Klageerweiterung gem. § 533 ZPO, die jedoch sachdienlich ist, weil sie auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat (§ 533 Nr. 2 ZPO).

64
b) Auch (Ersatz-)Ansprüche des Frachtführers aus § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 HGB scheiden grundsätzlich aus, wenn der Kündigungsgrund aus seiner Risikosphäre stammt. Gem. § 415 Abs. 2 S. 2, 2. Hs. HGB gilt dies aber nur, soweit “die Beförderung für den Absender nicht von Interesse ist”. Die Umsetzung der Güter von den anliefernden Lastwagen auf die Mafi-Trailer, auf denen sie sodann auf das Schiff gezogen wurden, entsprach jedoch dem Interesse der Beklagten, weil es ein notwendiger (Um-)Ladungsvorgang für die beabsichtigte und später auch durchgeführte Verschiffung nach St. Petersburg war. Zur Bezahlung dieser Kosten blieb die Beklagte mithin trotz ihrer – berechtigten – Kündigung verpflichtet. Die Frage, ob der Klägerin durch die Beauftragung eines Subunternehmers in Russland weitere Verpflichtungen entstanden sind, kann hingegen offenbleiben, weil die Beklagte entsprechende Dienste nicht mehr in Anspruch genommen hat und diese nicht in ihrem Interesse lagen.

65
c) Die Entstehung und die Höhe der Kosten gem. der Rechnung E vom 31.8.2010 sind von der Beklagten nicht in Abrede gestellt worden.

66
d) Der Klägerin steht ein Anspruch auf Verzinsung des Betrages von 2.878,56 EUR erst ab Eintritt der Rechtshängigkeit – hier mit Zustellung der Klageerweiterung am 27.5.2014 – aus §§ 291, 288 Abs. 2 BGB zu.

67
3. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf vorgerichtliche Anwaltskosten, und zwar auch nicht nach einem Gegenstandswert von 2.878,56 EUR. Das folgt bereits daraus, dass die Beklagte bezüglich der Forderung in Höhe von 2.878,56 EUR von der Klägerin nicht in Verzug gesetzt worden ist. Sie hat vielmehr den weitaus höheren, ihr nicht zustehenden Anspruch auf Fautfracht geltend gemacht.

III.

68
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92 Abs. 1, 97 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

69
Veranlassung zur Zulassung der Revision besteht nicht. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch die Belange der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 ZPO) sind nicht gegeben.

IV.

70
Der Streitwert für die Berufung wird auf 10.586,66 EUR festgesetzt.

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